Wie können Menschen in Frieden leben?
Der Beauftragte gegen Antisemitismus und Rassismus des Landes Baden-Württemberg, Dr. Michael Blume, referierte vor allen neunten Klassen der Realschule an der Heimschule St. Landolin. Der Vortrag und das anschließende Gespräch kamen auf Initiative des Vorsitzenden des Förderkreises der ehemaligen Synagoge Altdorf Markus Vögele und des Konrektors Thomas Dees zustande. Die Schulleiterin der Realschule Nicola Heckner betonte in ihrer Begrüßung die aktuelle gesellschaftliche Bedeutung des Antisemitismus, das sei keineswegs nur eine Aufgabe für den Geschichts- und Religionsunterricht.
Blume, evangelischer Religionswissenschaftler, erläuterte zunächst die großen Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen. Ihn persönlich treibe auch die Frage an, wie Menschen im 21. Jahrhundert friedlich zusammenleben könnten. Er war dabei, als beim Bau des Stuttgarter Flughafens Massengräber aus der NS-Zeit gefunden wurden und habe dazu beitragen können, den ehemals Ermordeten zu einer nachträglich würdevollen Bestattung zu verhelfen. Er berichtete von seiner Arbeit im Irak, wo er im Jahr 2015 zur Rettung von 1200 Jesiden vor dem Terror des sogenannten Islamischen Staates habe beitragen können, wo aber auch 2015 aktuelle Massengräber entdeckt worden seien.
Der IS, wie auch früher der Nationalsozialismus, baue ganz bewusst auf Verschwörungstheorien, wonach die Menschen von bösen Mächten beherrscht werden, ganz gezielt auch von jüdischen Menschen, gegen die es sich zu verteidigen gelte. Die Ermordung Andersdenkender und Andersgläubiger sei ihnen ein angemessenes Mittel. Rassisten kümmerten sich nicht um den Menschen. Herkunft und Abstammung liefern den Vorwand zur Verfolgung und Ermordung. Negative Eigenschaften werden von Rassisten erfunden und alles Böse der Welt darauf projiziert. Das gelte auch für die sogenannten Reichsbürger. Für sie seien immer die Anderen schuld. Gebildete Menschen, Ärzte, Lehrer und Journalisten geraten häufig in deren Visier, weil Bildung und Lesen zum Feindbild von Antisemiten und Rassisten gemacht werden. Mit der Erfindung des Buchdrucks sei üble Judenhetze zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Europa möglich geworden. Das Verbot des Buchdrucks im Islam habe zur Stabilisierung, aber auch zum Stillstand beigetragen. Die Nationalsozialisten hätten in ihrer Propaganda Fake-News eingesetzt, um die Bevölkerung für ihre Zwecke zu manipulieren. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk nach 1945 wolle das verhindern. In „Internetblasen“, so Blume, könne heute leicht radikalisiert und Falschmeldungen verbreitet werden. Blume machte auf die schnelle Verführbarkeit im Internet aufmerksam und warb für das Interesse an der Politik vor Ort. Er warnte vor shit-storms im Netz, und appellierte an das demokratische Engagement im eigenen Lebensbereich.
„In jeder Religion gibt es wunderbare Menschen und Schurken“, so das Resümee des Referenten, nachdem er zügig einen Rückblick über Formen des Rassismus und Antisemitismus gegeben hatte. Man dürfe sich von dummen und gewaltbereiten Menschen nicht einschüchtern lassen, niemand sei wegen seiner Herkunft oder Religion weniger wert als ein anderer Mensch. Ob er persönlich Antisemitismus erfahren habe, inwiefern Antisemitismus auch heute vorkomme und wie er damit umgehe, waren einige der Fragen, die von den Schülerinnen und Schülern an ihn gestellt wurden. Blume beurteilte die aktuell diskutierten Videos und Musik von Kollegah und Rammstein als „richtig krass“, die technisch gut gemacht seien, aber „wüsten Antisemitismus“ beinhalten. Allerdings zog er eine Unterscheidungslinie zwischen beiden, denn bei Rammstein sieht er auch Selbstkritik und das bewusste Spiel mit öffentlicher Aufregung und die Aufforderung zum Gespräch. Die Musikform des Rap sei aber immer Protestkultur, mit der auch Geschäft gemacht werde. Blume steht hinter dem Protest über die Echo-Vergabe im Jahr 2018, da es damals nur um Verkaufszahlen ohne jegliche Beachtung des Inhalts gegangen sei. Schlimm finde er auch, dass in jüngster Zeit schon zweimal die ehemalige Synagoge in Ulm Ziel von Angriffen geworden sei und jetzt Überwachungskameras nötig seien. Antisemiten und Rassisten richteten ihre zerstörende Wut immer gegen alles, was mit Bildung, Lesen und Respekt zusammenhänge. In Deutschland erlebe er auch, dass jüdische Kinder nicht mehr ihren Religionsunterricht besuchen, weil ihnen Angst gemacht werde. Er ertappe sich selbst gelegentlich bei Vorurteilen, wichtig sei aber der Umgang damit. Keine Schülerin und kein Schüler dürfe heute Angst davor haben, in die Schule zu gehen. Die Gesellschaft sei aus falsch verstandener Meinungsfreiheit heraus in jüngster Zeit gegenüber Rassismus zu nachsichtig gewesen. Wo Meinungsfreiheit aber in Hetze umschlage, müsse sich die Demokratie entschieden zur Wehr setzen. Als evangelischer Religionswissenschaftler, der mit einer Muslimin verheiratet sei, tritt er entschieden dafür ein, dass jeder Mensch seinen Weg zu Gott gehen könne, aber niemals Andere dafür verachten dürfe. Sein Appell an die Zuhörerinnen und Zuhörer war, sich von falschen Verschwörungstheorien, die sich im Internet zumeist gegen die jüdische Minderheit der Weltbevölkerung richten, nicht verführen, anlocken oder gar radikalisieren zu lassen.
Text: Bertold Obergföll (erschienen im „Ettenheimer Stadtanzeiger“ am 4. April 2019)
Bilder: Celine Gessler