„Habe nun, ach…“, „Zwei Seelen wohnen, ach…“ Ach, ach, ach – so ächzt und zaudert sich der Protagonist Faust durch die gleichnamige Tragödie von Johann Wolfgang von Goethe. Überhaupt Goethes „Faust“: ein Klassiker. Im Rahmen einer Schulaufführung droht das hässliche Wort der „Pflichtlektüre“. Und der besorgte Zuschauer hofft, dass sich der Abend nicht durch abgeleierte Verse ächzt. Und dann das: Der Literatur- und Theaterkurs der Heimschule St. Landolin inszeniert nach der Dramaturgie und Regie von Carsten Ernst einen zugleich tiefsinnigen, witzigen und berührenden „Faust“, in dem die existentiellen Themen des Stückes freigelegt werden.
Und das ist der dramaturgische Kniff: Stark gekürzt werden der erste und zweite Teil der Tragödie auf die Fragen zugespitzt, die zeitlos bleiben und die die Schülerinnen und Schüler sich über ein Jahr der Text- und Probenarbeit offensichtlich ernsthaft zu eigen gemacht haben: Was befriedigt mich als Mensch? Und woran kann ich mich im Leben orientieren?
Goethes Figuren bieten den Ausgangspunkt, verschiedene Identitäten – zum Teil ein und derselben Figur – vorzuführen. Zu Beginn dominiert der gealterte Wissenschaftler Faust: verzweifelt, verlebt, Bademantel (Lukas Andlauer). Sein Famulus Wagner (Marius Kempf) – belesen, bemüht, Studienratsoutfit – dient in seiner Bildungsbeflissenheit als witzige Kontrastfigur zu Faust. Nur dieser ist bereit, alle Grenzen zu überschreiten, um Antworten zu bekommen: Was können wir wissen? Was dürfen wir hoffen? Was dürfen wir tun? Was ist der Mensch?
Den echten Widerpart liefert Mephisto in zwei Gestalten: Frank Leutloff spielt ihn als witzig-agilen Verführer, dem niemand widerstehen würde, wenn er zur ewigen Party lädt; Lea Wieland zeigt die arrogant-zynische Seite der diabolische Gestalt, die für ihre Opfer nur Hohn und Spott übrig hat. Mit Mephisto begibt sich Faust auf einen Trip durch Diskotheken samt „Barhexe“ (Julian Burger), die ihn dank eines wundersamen Elixiers verwandelt: cool, gestylt, Lederjacke (Fabian Wahl). Und wohin führt das?
Zu Gretchen: unschuldig, liebenswürdig, weißes Sommerkleid (Frederike Kölzner). Hier nun nimmt die Tragödie ihren Lauf: Die Liebe zwischen Faust und Gretchen ist zum Scheitern verurteilt. Gretchens Freundin Marthe (Carina Beilke) – frivol, aufgedonnert, Leopardenrock – wird zum Werkzeug einer perfiden Intrige, die für Faust und Gretchen düster endet. Eine professionelle Licht- und Tontechnik (Luca König) und nicht zuletzt das dem Wahnsinn verfallene Gretchen (Sandra Seng) erwirken eine Intensität, die den Zuschauer mit in die Abgründe nimmt, die die Figuren durchleben. Was sagt uns das?
Niemand bleibt unschuldig: Das ist die Tragödie. Aber der Allgütigen (Linda Bührer) gebührt das letzte Wort: Das ist die Botschaft. Das Publikum quittierte die Darstellung mit großem Applaus und ohne jedes „Ach“ darf man über diese „Faust“-Inszenierung sagen: temporeich, geistvoll, absolut sehenswert!
Text: Jakob Katzmann
Bilder: Birgit Walz