Wo bleibt die Moral, wenn es um Geld und Wohlstand geht? – Eine feministische Relecture von Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“
In Dürrenmatts bekanntem Werk ist die verarmte Kleinstadt Güllen Schauplatz dieser Thematik. Die Fabel des Stücks ist relativ einfach: Die verarmte Kleinstadtgemeinde bringt um des Wohlstands Willen ihren Mitbürger um. In der Handlung sind zwei Themen miteinander verknüpft: Der Abfall von moralischen Konventionen durch die Verführung von Macht und Geld, der die Bewohner erliegen, und die Geschichte eines Schuldigen, der seine Schuld erkennt und zu sühnen bereit ist. Zentral ist dabei Claire Zachanassians Suche nach Gerechtigkeit. Die Folgen widerfahren in erster Linie dem schuldig gewordenen Ill, aber auch den Bürger der Stadt, indem sie dazu bestimmt werden, über ihn zu richten. Die einst in den persönlichen Ruin Getriebene kommt dazu in ihre alte Heimat zurück. Sie will sich rächen und geht äußerst manipulativ vor. Die Bewohner und bisherigen Freunde ihres ehemaligen Geliebten werden von ihr indirekt zu Helfern und vollbringen schließlich die Tat.
24 Schülerinnen und Schüler der Theater-AG Partyraum-Crew trafen sich in vielen intensiven Proben zusammen mit Sandrine Remmeau, Daniel Kurz und Marvin Günthner, um dem Klassiker eine neue Lesart zu geben. Nicht die naheliegende Frage der Moral und des Geldes stand im Zentrum der Interpretation, sondern die Person der Claire Zachanassian. Wer ist diese Frau, die das Leben eines Menschen fordert? Ihrem zerrissenen Innenleben wurden dabei verschiedene Stimmen gegeben. Der Einblick in ihre Erinnerungen und Wegstationen beleuchteten die verschiedenen weiblichen Darstellerinnen und spiegelten so die Person in all ihren Facetten und ihrer Gefühlswelt. Die Erweiterung der Theaterbühne hin zum Publikum vergrößerte die Dichte an Emotionalität. Die Schauspielerinnen und Schauspieler bewiesen ihr Können wieder einmal mehr bei dieser gekonnten Umsetzung eines Klassikers hin zu einer modernen Inszenierung.
Das Publikum war begeistert von der erkennbaren Schauspielfreude und der gelungenen Aufführung und dankte mit großem Applaus.
Silvia Loewer-Spitz, 19. März 2024