Themenwoche am Gymnasium

„Saugt diese Woche in euch auf, sie bietet eine tolle Chance“

„Macht neugierig auf euch. Sorgt dafür, dass man euch kennenlernen will.“ Eine Ermutigung an die Schüler, in diesem Fall der Klassenstufe J 1, innerhalb eines Projekts in einem ganz bestimmten Zusammenhang notiert – wir kommen später darauf zurück – sie könnte symptomatisch zitiert werden für die Themenwoche, die unmittelbar vor den Herbstferien im Gymnasium der Heimschule St. Landolin stattfand. Themenwochen oder Projektwochen – sie werden da und dort beinahe inflationär in ein Schuljahr eingebaut und sorgen bei Schülern (und vielen Lehrkräften) bisweilen für (unterdrücktes) Stöhnen: „Nicht schon wieder…“ Das Gymnasium der Heimschule aber will der Themenwoche wieder einen besonderen Stellenwert geben, sie zu einem der wahren Highlights im Schuljahr aufwerten, indem es (erstmals) nur eine einzige Themenwoche durchführt. „Saugt diese Woche in euch auf; sie ist eine tolle Chance, die euch die Schule bietet“, so ein weiteres Zitat aus selbem Mund wie eingangs zitiert – bezogen im konkreten Fall auf die Bewerbung vor dem Start in das Berufsleben. „Autorin“: Eva Stampfer, 32 Jahre alt, inzwischen selbstständig, ehemalige Schülerin an der Heimschule, die als Gast ihre eigenen beruflichen Erfahrungen vor den jungen Zuhörerinnen und Zuhörern darlegt. Die Heimschule nutzt in dieser Woche ganz bewusst und in vielen Projekten das Wissen, die Erfahrung Externer, denen es die Schüler noch einmal ganz anders abnehmen, denen sie intensiver zuhören als den Lehrkräften, die sie Tag für Tag vor sich haben.

Alle Projektthemen – jede Klassenstufe hat ihr eigenes – haben direkten Lehrplanbezug, wie Schulleiter Eberhard Pfister und sein Stellvertreter, Wolfgang Mutter, darlegen. In dieser Woche werden sie interdisziplinär aufbereitet, in besonderen Formen, mit aufgebrochenen Stundenrastern – „außergewöhnlich“ halt, anders als es die Schüler aus dem Schulalltag kennen.

Themenwochen sollen etwas Besonderes bleiben

Sie gehen hinaus in die Natur, wo es sich anbietet, sie holen sich Experten, arbeiten ohne Diktat des Pausengongs in Kleingruppen, solange wie sie die Zeit brauchen. Das gilt für das Thema „Märchen“ und „Soziales Lernen“ in Klassenstufe 5 ebenso wie für die Auseinandersetzung mit „Kreativität“ in Klasse 6, wie „Lerntraining“ in Stufe 9 oder „Ökologie/Wald“ in 10.

Oder – um auf die Eingangszitate zurückzukommen – im Thema „Studien- und Berufsorientierung“, in dem die J 1er (das entspricht der Jahrgangsstufe 11) gespannt den Ausführungen von Eva Stampfer lauschen, die von ihrer eigenen Berufsfindung und ihren Erkenntnissen hinsichtlich einer erfolgreichen Bewerbung berichtet. Die 32-jährige spricht die Sprache der Jugendlichen, darf auch einmal Formulierungen verwenden, mit denen sich gestandene Lehrkräfte bei ihren Vorgesetzten eine gerümpfte Nase einhandeln würden. Aber sie kommt an, die Schüler sind voll dabei. Ausgefeilt wie in den anderen Themenbereichen ist die Konzeption dieser Woche, wie Martin Kollefrath als Koordinator erläutert. Orientieren – entscheiden – bewerben, so die große Spur, gleichermaßen auf dem Weg zum Studium oder in einen sofortigen Beruf. Studien- und Ausbildungsbotschafter sprechen zu den Schülern, im Berufsnavigator testen die jungen Menschen ihre Eignung. Bewerbungstraining gehört ebenso zu dieser Projektwoche wie der Hochschultag mit (von den Schülern) ausgesuchten „Paten“ – oder aber der abschließende „Mutter-Tag“, wie die Schule scherzhaft den letzten Tag der Woche bezeichnete, an dem Wolfgang Mutter eine ganze Reihe von Referenten organisiert hat, die ihren Beruf vorstellen – ganz viele von ihnen ehemalige Heimschüler.

Ein ganz breites Themenspektrum

Das beeindruckend breite Spektrum der thematischen Auseinandersetzung in dieser Woche – es wird dem „unbedarften“ (Presse)Besucher deutlich beim Hineinschnuppern in ein anderes Projekt. „Weltsichten“ ist es überschrieben. In der Gruppe J 2 von NG und BG mit den Lehrkräften Matthias Küchle und Joachim Nebel geht es dabei um die Begriffe Freiheit, Schuld, Verantwortung. Die Schülerinnen und Schüler bewegen sich mit ihren Lehrkräften im Spannungsfeld von Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft. Die Hirnforschung und ihre neurobiologischen Erkenntnisse kommen da genauso ins Spiel wie die Auseinandersetzung mit philosophisch-religiösen Sichtweisen. Frei ist nur der, der seine inneren Bedingungen kennt und reflektiert, notiert man sich da als Zuhörer als erarbeitete Aussage in den Notizblock und ist beeindruckt, was die Schülerinnen und Schüler des Abschlussjahrgangs in dieser Gruppe an Assoziationen nennen auf den Lehrerimpuls: Ich bin frei, wenn… Handlungsfreiheit, Willensfreiheit werden da überdacht – und am Fachtext mit dem Titel „Freiheit oder Zufall“ herausgearbeitet, dass eine „absolute“, also von allen Bedingungen losgelöste Freiheit gar nicht erstrebenswert sein kann. Was für ein spannendes, bedenkenswertes Themenfeld, das da der naturwissenschaftlich ausgerichtete Lehrer zusammen mit Religions- und Geschichtslehrer mit seiner Arbeitsgruppe beackert. Und beim abschließenden Besuch im Zentrum für Psychiatrie mit Sicherheitsverwahrten dürften sich am letzten Projekttag die Aspekte der jungen Erwachsenen sicherlich noch einmal erweitert haben.

 In den andern Gruppen dieser Jahrgangsstufe wird es bei der Auseinandersetzung mit den Begriffen Urknall und Schöpfung beispielsweise nicht weniger tiefgründig zugehen.

Feste Strukturen sind ganz wichtig

„Bildung ist mehr als Wissen“, so hat sich die Heimschule unter anderem in ihr Leitbild geschrieben, an das sich viele Themen dieser Woche nahtlos anschließen. Und auch die anderen wichtigen Leitgedanken im Papier (und im täglichen Schulleben) lassen sich wiederfinden, wenn man die gesamte Themenpalette dieser Woche in den Blick nimmt. „Den Menschen stärken“, „Schule ist Leben in Gemeinschaft“, „Junge Menschen brauchen Orientierung, Offenheit und Toleranz“ – praktisch umgesetzt auch in den Erlebnispädagogischen Tagen der Eingangsstufe des Beruflichen Gymnasiums, „Eine Welt“ in Klassenstufe 8, bei der „Modellierung von Geschäftsprozessen“ bei der BKW-Stufe. Schulleiter Pfister sieht die Chance der außergewöhnlichen Form dieser Auseinandersetzung, sieht den „Grundbestand“ einer Schule jedoch weiterhin im regelmäßigen Unterricht, in den bewährten, immer wiederkehrenden Strukturen, im festen Rhythmus. „Schüler brauchen den, in der Schule wie zu Hause“, so Pfister, der darauf verweist, dass es ja zur Themenwoche auch sonst noch viele „Highlights“ in einem Schuljahr, einem Schülerleben gibt: Klassenfahrten, Landschulheime, Schüleraustausche, Theaterprojekte und vieles andere.

Die Gruppe: Chance und Gefahr

Unser letzter Blick geht hinein in das Projekt der 7. Klasse. „Suchtprävention“ ist dieses überschrieben. Auch hier treffen wir die Klasse – es ist die 7 d – in ihrer Begegnung mit einer „Expertin“.  Nadine Richter, Polizeiobermeisterin beim Ettenheimer Polizeirevier, ist Jugendsachbearbeiterin, weiß um die großen und kleinen „Schwächen“, die durchaus auch schon Siebtklässler verraten können, wenn sie „cool sein“ wollen, den starken Maxe spielen, „kein Frosch sein“ wollen, nicht Nein sagen können. Die Mädchen und Jungs sperren bisweilen Augen, Nase und Mund auf, wenn die junge Polizeibeamtin von Gefahren und Vorkommnissen berichtet und die Schüler an der einen oder andern Versuchung einmal schnüffeln lässt.

Das Themenfeld ist weit, wie Lehrer Stefan Stolpe mit Blick auf den Wochenplan der Klasse erklärt. Da geht es um das grundsätzliche Medienverhalten ebenso wie um Hilfsmöglichkeiten bei Alkohol“leichen“, um gruppendynamische Prozesse ebenso (die meisten der Jugendlichen werden schließlich in der Gruppe „versucht“) wie um die Frage nach dem Sinn des Lebens mit dem Heimschulseelsorger – oder aber das Mixen von antialkoholischen Cocktails. Schließlich steht, zum Abschluss der Projektwoche, ein Besuch von Suchtkranken bei den Schülern an – „meist ein Höhepunkt der Woche für die Schüler“, so Stolpe.

Was ist wirklich wichtig?

Und da ist dann noch das Bewusstmachen einer vielfach verbreiteten Sucht: nämlich der nach dem Handy. Die Siebtklässler werden nämlich zu Beginn ihrer Woche eingeladen, ihr Handy für eine Woche abzugeben, für fünf Tage ohne den vermeintlich unverzichtbaren Wegbegleiter auszukommen. Die drei, die sich in diesem Jahr dazu durchringen konnten – sie bekommen am Ende der Woche ihr Handy zurück, berichten den Mitschülern, wie es ihnen ergangen ist. Wahrscheinlich waren es halt die, die noch nicht wirklich von der Handy-Sucht befallen sind, oder?

 

Ein herzlicher Dank gilt Klaus Schade, der diesen Text für den Ettenheimer Stadtanzeiger vom 31. Oktober 2013 verfasste, für die Erlaubnis, diese Berichterstattung auch an dieser Stelle zu veröffentlichen.