Integration als gemeinsame Aufgabe: Ein Gespräch mit Mohammad Abazid

dsc_0342_0.jpgMohammad Abazid (21) stammt aus Syrien, von wo er als 15-Jähriger floh. Zwei Jahre besuchte er die Heimschule St. Landolin, lebte hier auch im Internat und bestand im Sommer 2017 das Abitur. Inzwischen hat er am KIT in Karlsruhe ein Studium begonnen. In diesem Interview blickt er zurück – auch auf seine Zeit in Ettenheim.

Mohammad, erzähl doch, wie es dich überhaupt nach Ettenheim verschlagen hat?

Ich habe mit 15 Jahren meine Heimat in Syrien verlassen, weil ich nicht Teil des Krieges werden wollte. Über den Libanon und Jordanien bin ich nach Dubai gekommen. Dort habe ich zwei Jahre gelebt und das dortige Abitur gemacht. Weil meine Aufenthaltserlaubnis dort mit meinem 18. Geburtstag abgelaufen wäre und ich nicht zurück nach Syrien wollte, bin ich mit einem Boot über das Mittelmeer nach Italien gekommen. Eigentlich wollte ich von dort in die Niederlande, doch in Kehl wurde ich von der Bundespolizei als damals minderjähriger Flüchtling aufgegriffen.

Und wie bist du dann an die Heimschule gekommen?

Zunächst war ich in verschiedenen Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht. Dort habe ich Deutsch gelernt und versucht – mit meinem Schulabschluss aus Dubai – an einer Universität angenommen zu werden. Das ging aber nicht. Deswegen habe ich mich entschieden, auch noch das deutsche Abitur zu machen. An der Heimschule hatte ich schon bekannte und zum Glück wurde ich an der Schule – und im Internat – aufgenommen.

Also war es ja mehr oder weniger ein Zufall, dass du im deutschen Südwesten gelandet bist. Ein glücklicher Zufall?

Absolut. Inzwischen bin ich ein wenig in Deutschland herumgekommen und ich empfinde die Menschen hier als sehr offen und tolerant. Bis auf wenige Ausnahmen fühlte ich mich immer akzeptiert und willkommen geheißen. Viele Menschen haben mir geholfen, mich zu integrieren. Das ist gut, denn ich sehe Integration als eine Aufgabe, an der alle mitarbeiten müssen.

Welche Rolle spielten die Heimschule und das Internat für deine Integration?

Das Internat hat mich aufgenommen wie eine Familie. Die Gespräche mit den Mitschülern und den Erziehern sind mir so wichtig geworden, dass der Abschied jetzt im Sommer für mich sehr, sehr schwer war. Auch meine Lehrer haben mich stark unterstützt. Ohne die zusätzlichen Übungen und ausgeliehenen Bücher von meinem Deutschlehrer Herrn Kurz hätte ich das Deutsch-Abi wohl niemals geschafft.

Nun bist du nach all den Stationen in deinem Leben schon wieder weitergezogen. Was nimmst du denn aus Ettenheim für dich mit?

Hier habe ich gelernt, mich in andere Perspektiven zu versetzen und andere Denkweisen als meine eigene zu verstehen. Und: Von den deutschen Jugendlichen habe ich das Feiern gelernt!

Hast du hierbei als Moslem Konflikte erlebt?

Nein, überhaupt nicht. Es gab für mich immer die Möglichkeit das mitzumachen, was ich wollte – und das andere einfach zu lassen. Ich nehme Deutschland als eine vielfältige Gesellschaft wahr – das ist doch schön und bereichernd.

Hast du keinerlei Kritik an dem Land, in dem du nun lebst?

Aus meiner Sicht interessieren sich zu wenig Menschen – vor allem Jugendliche – für Politik. Auch die Schule fokussiert sich zu sehr auf die Hauptfächer Deutsch, Mathe und so. Was aber in der Welt los ist, wird viel zu wenig besprochen.

Wie sehen denn nun nach dem Abitur deine Pläne aus?

Derzeit studiere ich Chemieingenieurwesen in Karlsruhe und lebe dort in einer WG. Das Beste im Vergleich zum Internat: Dort kann meine Freundin bei mir im Zimmer übernachten. Große Zukunftspläne mache ich aber nicht mehr, bisher hat nämlich noch nie einer meiner großen Pläne funktioniert. Meine Zukunft sehe ich aber schon eher in Deutschland. Nach Syrien werde ich nämlich erst gehen, wenn dort wirklich Frieden herrscht – und das kann meiner Meinung nach noch lange dauern.

Vielen Dank, Mohammad, für deine Offenheit. Ein Abschlusswort von dir?

Ich danke für das Interview, denn aus meiner Sicht gibt es viele Flüchtlinge – so wie mich –, die sich um eine gute Zukunft in Deutschland bemühen und das auch schaffen; einige davon habe ich in den vergangenen Wochen am KIT kennengelernt. Wir schaffen es aber nicht in die Schlagzeilen der Zeitungen, weil die Erfolgsgeschichten vielleicht einfach nicht so interessant sind.


Außer Mohammad Abazid wohnen seit April 2016 fünf weitere Flüchtlinge in einer Wohnung auf dem Schulcampus der Heimschule. An dieser Stelle sei außerdem den zahlreichen Helferinnen und Helfern der »Willkommensinitiative Neustart Ettenheim e.V.« sowie weiteren Freiwilligen, die sich auf vielfältige Weise für die Flüchtlingsarbeit an der Heimschule St. Landolin einsetzen, gedankt. In den vergangenen zwei Jahren haben sich in der Kleiderkammer, bei Spielenachmittagen, im Begegnungscafé, beim Deutsch- und Matheunterricht sowie als Sprachscouts viele Menschen ehrenamtlich für die Unterstützung von Flüchtlingen hier vor Ort eingesetzt. Vielen Dank dafür!

 

Das Interview führte Jakob Katzmann

Bilder: Jakob Katzmann